(mko) Immer mehr Menschen leiden an chronischen Wunden. Die Menschen in Deutschland leben immer länger. Die gestiegene Lebenserwartung und die demographische Überalterung der Gesellschaft bringen viele Probleme mit sich, auf die täglich in den Medien hingewiesen wird. Die Schmerzen und Leiden alter Menschen finden jedoch nach wie vor zu wenig Beachtung.
Zu diesen ungehörten Leiden gehören chronische, stark schmerzende Wunden, an denen allein in Deutschland schätzungsweise mehr als eine Million überwiegend alter Menschen leiden, obwohl auf dem Gebiet der Wundversorgung in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht wurden. Zu diesen chronischen Wunden zählen vor allem Druckgeschwüre (Dekubitus, umgangssprachlich „Wundliegen“), an denen jährlich rund 400.000 bettlägerige oder immobile Patienten erkranken. Man geht sogar von einer mindestens doppelt so hohen Dunkelziffer aus. Auch sind Beingeschwüre (Ulcus cruris, umgangssprachlich „offenes Bein“) aufgrund der weit verbreiteten Venenleiden nach wie vor ein großes Problem bei alten Menschen. Rapide ansteigend ist ebenso das diabetische Fußsyndrom, an dem Typ 2 Diabetiker (Diabetes mellitus) erkranken. In Deutschland müssen aufgrund dessen pro Jahr immer noch rund 28.000 Zehen und Füße, vor allem bei alten Menschen amputiert werden . Fast jeder Pfleger und jede Pflegerin in Deutschland wird täglich mit chronischen Wunden und den daraus resultierenden Schmerzen konfrontiert.
Der Kostenfaktor im Gesundheitswesen
Nach Schätzungen betragen die Behandlungskosten für chronischen Wunden in Deutschland rund zwei Milliarden Euro per anno . Die Angaben der durchschnittlichen Kosten für die Therapie eines Dekubitus werden auf bis zu 50.000 Euro jährlich beziffert .
Organisationen machen auf das Problem aufmerksam
„Auf der ganzen Welt kämpfen Patienten, Angehörige, Krankenschwestern und Ärzte jeden Tag für die Bewältigung des Schmerzes von Patienten mit chronischen Wunden. In jedem westlichen Land leiden rund 1,8 % der Bevölkerung einmal in ihrem Leben unter einer chronischen Wunde. Dies macht chronische Wunden zu einer Geißel und wahrscheinlich zu einer der am meisten verschwiegenen. Oder haben Sie jemals von chronischen Wunden oder chronischem Wundschmerz gehört?“ so Richard Chapman, Direktor und Professor des Schmerzforschungscenters in Utah und Präsident der amerikanischen Schmerzgesellschaft „American Pain Society“ , USA, der als einer weltweit führenden Experten auf diesem Gebiet gilt.
In Deutschland will in diesem Jahr nicht nur die „Initiative Chronische Wunden“, sondern auch etliche andere Pflege- und Patientenorganisationen auf dieses Problem verstärkt hinweisen. Ein Kongress in Köln, der am 24. bis 25. März stattfindet, widmet sich ausschließlich dem Thema „Schmerzversorgung von Patienten mit chronischen Wunden“ und auch ein Pflegekongress in Bremen dreht sich in diesem Jahr nur um das Thema „Chronische Wunden“. In Berlin wurde kürzlich ein „Dekubitus-Forum“ gegründet. Führende Schmerz- und Wundexperten, Ärzte und Pfleger, Patienten und Fachverbände schließen sich zusammen, um international auf das Problem des chronischen Wundschmerzes aufmerksam zu machen.
In Großbritannien macht sich die Organisation „Pain Concern“ dafür seit neuem stark. Auch die Präsidentin des „European Pain Network und Vorsitzende der „Society for Fighting Pain “ in Israel, Mandy Leighton-Bellichach will in diesem Jahr verstärkt auf das Problem schmerzender chronischer Wunden hinweisen. Die 32-jährige britische Kriegsveteranin, die in Israel lebt, sitzt seit Jahren im Rollstuhl und hat selbst mehrfach unter schmerzenden Wundgeschwüren gelitten. „Ich werde mein Bestes geben, das Bewusstsein hinsichtlich des chronischen Wundschmerzes zu heben, und zwar in Zusammenarbeit mit meinen europäischen Kollegen.“ Sie und andere Schmerz-Koryphäen werden auch auf einer Veranstaltung in London sprechen, die am 28. März im Royal College of Physicians zu diesem Thema stattfindet. Die IASP (International Association for the study of Pain) , die weltgrößte Organisation auf dem Gebiet des Schmerzes und ihre europäische Schwesterorganisation EFIC (European Federation of IASP Chapters) in Brüssel starten im Oktober 2006 die Initiative „Globaler Tag gegen Schmerzen im Alter“.
Berühmte Betroffene: Christopher Reeve und Ella Fitzgerald
In Deutschland hat der Autor Markus Breitscheidel, der „Wallraff“ der Pflege, mit seinem Bestseller „Abgezockt und totgepflegt“ auf das schwerwiegende Dekubitus-Problem bettlägeriger Pflegeheimbewohner aufmerksam gemacht. Häufig, doch nicht immer, sind mangelnde Pflege oder zu wenig Aufmerksamkeit an der Entstehung eines Druckgeschwürs schuld. Auch der amerikanische Schauspieler Christopher Reeve („Superman“), der nach einem Reitunfall vom Hals abwärts gelähmt war, starb mit nur 52 Jahren an den Spätfolgen eines entzündeten Druckgeschwürs. Der amerikanischen Jazz-Legende Ella Fitzgerald mussten im Alter sogar beide Beine aufgrund chronischer Wunden, bedingt durch Diabetes, amputiert werden.
Pfleger und Angehörige sind oft überfordert
Chronischer Wundschmerz ist nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zermürbend, schließt die Betroffenen weitgehend von der Teilnahme an einem sozialen Leben aus und führt fast immer zu schweren Depressionen. Aber auch Pfleger und Angehörige sind oft überfordert. Anke Bültemann, Pflegeexpertin und aktive Unterstützerin der Initiative Chronische Wunden:
„Einige Patienten, nicht alle, erleiden Schmerzen 24 Stunden am Tag. Man muss sich das einmal vorstellen, wie es ist, permanent Schmerz erleiden zu müssen. Er greift die Psyche an. Die Menschen nehmen natürlich Schmerztabletten, aber das reicht nicht. Sie können vor Schmerzen nicht schlafen, haben keine Appetit, nehmen nicht am öffentlichen Leben teil, isolieren sich. Dadurch verlässt sie der Mut – sie bekommen Depressionen. Die Hoffnungslosigkeit ist meiner Erfahrung nach ein sehr schwer wiegender Störfaktor in der Wundheilung. Eine stagnierende oder sich verschlechternde Wundheilung verstärkt den Wundschmerz. Das ist ein Teufelskreis.“
Die Healtcare-Industrie bietet neue Wundbehandlungskonzepte an
Die Pharma- und Healthcare-Industrie hat das Problem längst erkannt. Mit speziellen neuen Wundauflagen kann die Wundheilung oft in kurzer Zeit erreicht werden. „Wir haben in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse erlangt, was die Versorgung chronischer Wunden angeht und viele neue Produkte entwickelt,“ so der Däne Peter Sylvest Nielsen, Forscher und Entwickler bei einem der weltweit renommiertesten Anbieter von Wundauflagen für chronische Wunden. „Wichtig ist, dass sich Ärzte und vor allem Pfleger und Pflegerinnen mit der modernen Wundversorgung vertraut machen, dann kann der Leidensweg der Betroffenen entscheidend verkürzt werden“.
Die Hauptlast der Pflege von Angehörigen liegt auf den Frauen
Gerhard Schröder, Vorsitzender der Initiative Chronische Wunden sieht die Hauptverantwortung und damit auch die Hauptlast in der Pflege hilfebedürftiger Familienmitglieder bei den Angehörigen. „Daher ist es besonders wichtig, dass sich Familienmitglieder, die bettlägerige Angehörige betreuen, rechtzeitig mit den ersten Anzeichen für Wundliegen vertraut machen. Dann kann meist das Schlimmste verhindert werden.“ Über 90 % der rund 4,5 Millionen Hilfe- und Pflegebedürftigen leben in Privathaushalten und werden zumeist von Angehörigen betreut . Gerhard Schröder stellt fest: „Über 70 Prozent der Hauptpflegepersonen sind weiblich. Da sind ganze Generationen von Ehefrauen und Töchtern gefragt. Da die Söhne sich meist vor der Pflege scheuen, beobachte ich auch ein „Schwiegertochter-Phänomen“.
Ratgeber:
Den kostenlosen Ratgeber „Wundliegen“, der über die Vorbeuge und das rechtzeitige Erkennen von Wundliegen informiert, können Interessierte gegen eine Erstattung der Versandkosten bei der Initiative Chronische Wunden, Kuhtor 2, 37170 Uslar-Soligen, Email: ICWunden@t-online.de bestellen.